Über das Buch

Der zweitjüngste Sohn einer kinderreichen katholischen Lehrerfamilie in Derry bekam schon früh die Diskriminierung der Katholiken zu spüren, die in den 60er Jahren zur Bildung einer starken Bürgerrechtsbewegung führte. Auch in den deutschen Nachrichten gab es damals immer wieder Berichte mit Bildern von Bürgerrechtsmarschierern, Polizeiknüppeln und Panzern. Doch nur wenigen deutschen Zuschauern gelang es, sich ein Bild der Zusammenhänge zu verschaffen. Viele glaubten, es handele sich um einen Glaubenskrieg zwischen Protestanten und Katholiken und wunderten sich, wie im aufgeklärten Westen so etwas möglich sein konnte.

Hier liegt nun der authentische Bericht eines ursprünglich unbeteiligten, später aber radikalisierten Zeitzeugen und Mittäters vor, der die Hintergründe aus eigenem Erleben schildert. In den langen Jahren seiner späteren Haft rechnete O'Doherty schließlich schonungslos mit sich selbst ab und wandte sich der aktiven Reue zu. Als das Buch 1989 zuerst erschien, war es sofort ein Bestseller. Dem deutschen Buchmarkt blieb es allerdings lange verborgen. Nun kann man O'Dohertys Autobiographie endlich auch bei uns erhalten und aus erster Hand erfahren, wie ein entsetzter Jugendlicher das Blutvergießen des Bloody Sunday 1972 miterlebte und welche Folgen es für ihn hatte.


Bilder von Derry

Bilder von Derry: Stadtteil Bogside / Zwei Wandgemälde / Mahnmal in der Bogside (Fotos: Mark A. Wilson, Kryptonit, Wikimedia Commons, Alan Mc)

Montag, 8. August 2016

Bischof Daly in Derry gestorben

Heute, 8. Juli 2016, ging die Nachricht durch die Medien, dass Bischof Edward Daly (siehe früheren Blogbeitrag) gestorben ist. Es gab viel Reaktion in den Zeitungen und Radiosendern, denn Daly wurde als eine der Symbolfiguren des Bloody Sunday 1972 in Derry gesehen. Damals war er noch Kaplan und befand sich an dem Sonntag des Bürgerrechtsmarschs in der Nähe des 17jährigen Jackie
Bild: BBC
Duddy, als dieser von einem Schuss der britischen Soldaten tödlich getroffen wurde. Mitmarschierende hoben ihn auf und trugen ihn aus der Marschmitte fort, damit er medizinisch versorgt werden konnte. Daly ging in gebückter Haltung vor den Helfern her und schwenkte ein blutbeflecktes weißes Taschentuch, um die Notwendigkeit sicheren Geleits zu signalisieren. Die Pressefotos hielten diesen Moment fest; es gibt auch Archivfilmmaterial davon. Jackie Duddy starb, und Daly ließ ihm die letzte Ölung zuteil werden. 
Daly war Zeuge des Umstandes, dass die Bürgerrechtsmarschierer unbewaffnet waren. Er bezeugte dies auch vor dem Untersuchungsausschuss unter Richter Widgery. Dieser Ausschuss befand jedoch trotzdem die Soldaten, die 13 unbewaffnete Demonstranten erschossen hatten, für unschuldig und erklärte die Organisatoren des Bürgerrechtsmarschs für verantwortlich, da sie „eine gefährliche Situation“ herbeigeführt hätten. Bei der katholischen Bevölkerung kam diese Verfälschung der Tatsachen als „Reinwaschen der Mörder“ an. Erst 1998 befasste sich ein neuer Ausschuss unter Lord Savillle mit dem Fall und ließ eine völlig neue Zeugenbefragung und Geländeerfassung durchführen. Auch Edward Daly wurde erneut befragt, und diesmal wurde ihm und den anderen Zeugen erstmals Glauben geschenkt. Der Ausschuss Saville kam zwei Jahre später zu dem Schluss, dass keineswegs eine „gefährliche Situation“ für die britischen Soldaten vorlag; ferner, dass die Soldaten den Kopf verloren hatten und ohne irgendeine vorherige Warnung wehrlose, fliehende Zivilisten niedergeschossen hatten. Danach hatten sie ein Gebilde aus falschen Behauptungen aufgebaut, um die Opfer als angebliche Flaschenbomben- und Steinewerfer darzustellen. Dies wurde vom Saville-Ausschuss als Lüge entlarvt. 

Die neuen Ergebnisse wurden 2010, achtunddreißig Jahre nach dem Blutvergießen, in der Guildhall in Derry der Öffentlichkeit bekanntgegeben. Edward Daly, mittlerweile jüngster Bischof  Nordirlands
Guildhall, Derry
war ebenfalls dabei und empfand wie alle anderen große Erleichterung, dass endlich die Wahrheit sich durchgesetzt hatte und die Opfer rehabilitiert wurden, deren Angehörige jahrzehntelang auf diesen Moment gewartet hatten. David Cameron entschuldigte sich im Namen der britischen Regierung für das Massaker und auch für die Tatsache, dass sie mit solch langer Verspätung kam. 

 Daly wurde durch die Presseaufnahmen zur Symbolfigur. Später sagte er, dass dies seiner Ernennung zum Bischof vermutlich geholfen hat, aber er war nicht zufrieden damit, auf einen Moment seiner Tätigkeitsjahre reduziert zu werden. Er engagierte sich vielfältig in seiner Gemeinde und Stadt Derry schlug sowohl dogmakritische als auch versöhnungsgerichtete Töne an. Er verstand sich als Hirte der Christen und bekam im Jahr 2015 den angesehenen Ehrenstatus von Derry, „Freedom of the City“ verliehen. Da war er schon nicht mehr Bischof, denn ein Schlaganfall zwang ihn 1993 zum Rücktritt. Doch betreute er noch weiterhin als Kaplan die Menschen im Foyle-Hospiz. Nun ist er selbst verstorben; doch sein Andenken wird in Derry und in Nordirland unvergessen bleiben.