Über das Buch

Der zweitjüngste Sohn einer kinderreichen katholischen Lehrerfamilie in Derry bekam schon früh die Diskriminierung der Katholiken zu spüren, die in den 60er Jahren zur Bildung einer starken Bürgerrechtsbewegung führte. Auch in den deutschen Nachrichten gab es damals immer wieder Berichte mit Bildern von Bürgerrechtsmarschierern, Polizeiknüppeln und Panzern. Doch nur wenigen deutschen Zuschauern gelang es, sich ein Bild der Zusammenhänge zu verschaffen. Viele glaubten, es handele sich um einen Glaubenskrieg zwischen Protestanten und Katholiken und wunderten sich, wie im aufgeklärten Westen so etwas möglich sein konnte.

Hier liegt nun der authentische Bericht eines ursprünglich unbeteiligten, später aber radikalisierten Zeitzeugen und Mittäters vor, der die Hintergründe aus eigenem Erleben schildert. In den langen Jahren seiner späteren Haft rechnete O'Doherty schließlich schonungslos mit sich selbst ab und wandte sich der aktiven Reue zu. Als das Buch 1989 zuerst erschien, war es sofort ein Bestseller. Dem deutschen Buchmarkt blieb es allerdings lange verborgen. Nun kann man O'Dohertys Autobiographie endlich auch bei uns erhalten und aus erster Hand erfahren, wie ein entsetzter Jugendlicher das Blutvergießen des Bloody Sunday 1972 miterlebte und welche Folgen es für ihn hatte.


Bilder von Derry

Bilder von Derry: Stadtteil Bogside / Zwei Wandgemälde / Mahnmal in der Bogside (Fotos: Mark A. Wilson, Kryptonit, Wikimedia Commons, Alan Mc)

Montag, 20. Juli 2015

Die innerirische Grenze - früher und heute

Nach dem anglo-irischen Vertrag von 1921, der die Teilung Irlands in die unabhängige Republik Irland und das britische Nordirland besiegelte, wurde der bis heute gültige Grenzverlauf festgelegt. Dies nahm längere Zeit in Anspruch, da verschiedene Interessengruppen ihre Ansprüche durchsetzen wollten. Zudem  hielt man sich weitgehend an die historisch gewachsenen...

Grafschaftsgrenzen, die alles andere als geradlinig waren und dadurch die Grenzlinie auf stolze 499 Kilometer brachten.Die Grenze trennt die sechs  britischen Grafschaften Antrim, Armagh, Down, Fermanagh, Londonderry und Tyrone von den 26 Grafschaften der Republik Irland. Diese sechs nordirischen Counties bilden zusammen die Provinz Ulster. Es gehörten eigentlich noch drei weitere dazu, die allerdings in der Republik Irland liegen: Monaghan, Cavan und Donegal.

Bild: Future Perfect at Sunrise
Ähnlich der innerdeutschen Grenze war die innerirische Grenze während der Jahre des Nordirlandkonflikts mit militärisch besetzten Kontrollstationen ausgestattet.  Wer in den 70er, 80er und 90er Jahren durch Irland reiste und die Grenze von Süden her passierte, traf auf Soldaten mit der Maschinenpistole im Anschlag (Schluck!), während die Zollbeamten die Papiere kontrollierten. Ich erinnere mich an eine Motorradreise 1988. Die Straße am Grenzposten war gesperrt, wurde rechtwinklig umgeleitet, dann kam wieder ein rechtwinkliger Knick in die andere Richtung.  Das allein hätte es schon schwierig, wenn nicht unmöglich gemacht, mit voller Fahrt durch die Sperre zu brausen, wie es ein Terrorist womöglich versucht hätte.
Checkpoint Aughnacloy um 1985. BBC News
Es war am Grenzübergang Aughnacloy; von dort aus wollten wir nach Enniskillen weiterfahren, wo es erst ein halbes Jahr zuvor ein schreckliches Bombenattentat gegeben hatte. Vorsichtshalber nahmen wir schon beim langsamen Vorwärtsrollen unsere Helme ab, um zu signalisieren, dass wir nicht vorhatten, unsere Identität zu verbergen. Wir verließen uns auf das, was wir gehört hatten: als Tourist vom Kontinent sei man willkommen und hätte nichts zu befürchten. Ja, das war offensichtlich auch so - und wir bekamen eine gute Weiterfahrt gewünscht.
Wer als Mitteleuropäer über einen Seehafen nach Nordirland einreiste, also beispielsweise die Rainbow Route diagonal durch England nach Westschottland fuhr und dann die Fähre von Stranraer oder Cairnryan nach Larne nahm, wurde ebenfalls gründlich kontrolliert. Als Autofahrer musste man sofort den Inhalt seines Reservekanisters in den Tank schütten. Ich war auf dieser Strecke einmal mit einer Ente unterwegs, deren Tank keineswegs leer war. Es passte so gerade alles hinein; danach musste ich aber den Reservekanister auch noch mit Wasser aus einem Wandhahn am Zollgebäude ausspülen!
Anders als die innerdeutsche war die innerirische Grenze aber nie als durchgehende Mauer oder Zaun errichtet worden. Für Iren war sie deshalb abseits von Straßen und Wegen relativ leicht unbemerkt zu passieren und galt manchen deshalb als „a dotted line on a foreign map“ (eine gepunktete Linie auf einer ausländischen Karte). Wer mit einem Fahrzeug unterwegs war, hatte es schon schwerer, die militärischen Kontrollstellen zu umgehen.
An den Grenzkontrollstellen kam es oft zu tödlichen Zwischenfällen; im Fall von Aughnacloy war es der junge Aidan MacAnespie, der im Februar 1988 auf dem Weg zu einem Fußballspiel von den Grenzposten erschossen wurde. Offenbar hatte man ihn grundlos schon länger im Visier und hatte ihn und seine Familie wiederholt drangsaliert. Die britische Armee behauptete, es habe sich versehentlich ein Schuss gelöst. Diese Darstellung wurde jedoch 20 Jahre später als falsch entlarvt, und schließlich entschuldigte sich im Jahr 2009 der britische Nordirlandminister Shaun Woodward und drückte der Familie MacAnespie  im Namen der Regierung sein tiefes Bedauern aus.

Die Grenze heute:

Nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 wurden die Grenzposten nach und nach bis 2005 restlos abgebaut. Die Grenze selbst besteht natürlich weiterhin, denn sie trennt nach wie vor britisches und irisches Staatsgebiet. Seit 1979, als Irland der Eurozone beitrat, trennt sie auch die Währungen.
Belfast Telegraph                                                                    
Als Reisender fragt man sich, ob die Grenze Spuren zurückgelassen hat, die man heute noch sehen kann. Es wurden erst 2012 nagelneue Willkommensschilder, wie sie auch in Mitteleuropa üblich sind, aufgestellt („Welcome to Northern Ireland“  in schwarzer Schrift auf weißem Grund, bzw „Welcome to Ireland“  in weißer Schrift auf grünem Grund). Um die Schilder „Welcome to Northern Ireland“ entbrannte prompt ein heftiger Streit, weil sie mehrfach von republikanisch gesinnten Nordiren gewaltsam entfernt wurden und der Steuerzahler die Kosten für neue Schilder tragen musste. Die Regierung sah sich genötigt, klarzustellen, dass die Schilder einen wichtigen Informationswert haben, da sie auf veränderte Jurisdiktion und verändertes Verkehrsrecht hinweisen.

                                                                              Oliver Dixon
Außer diesen Schildern findet man heute so gut wie gar keine Anzeichen des Grenzübertritts – man muss schon die Einheimischen fragen. Die Älteren können einem erklären und auch zeigen, an welcher Stelle die Grenzposten sich befanden. Wer genau hinschaut, entdeckt einen veränderten Straßenbelag, oder gelbe (britische) statt weiße Randmarkierungen auf der Fahrbahn, und man sieht die anders gestalteten Straßenschilder und Ortsschilder, die sich von denen in der Republik Irland unterscheiden. Und natürlich die  Geschwindigkeitsbegrenzungen: in der Republik sind sie in km/h angegeben,  in Nordirland dagegen in  mph.
Der Grenzverkehr läuft heute vollkommen unbehindert ab, nicht anders als im Schengen-Gebiet auch. Wer in Grenznähe wohnt, tankt dort, wo es billiger ist, und die beliebten Einkaufsstädte (wie Derry) werden auch von Bewohnern des jeweils anderen Landes angefahren. Die Geschäfte, vor allem die großen, sind in ihrer Währungstoleranz (Euro oder britisches Pfund) meist darauf eingestellt. Irland zählt aber wegen seiner offenen Grenze zu Großbritannien nicht zum Schengengebiet.
Wer als Reisender in Irland einen Mietwagen nimmt, muss für die Einreise nach Nordirland eine Zusatzversicherung abschließen, da er ja ins Ausland fährt.

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